Marlene ist 34, hat Darstellendes Spiel studiert und arbeitet im Theater – und das in einer Zeit wie dieser… Eigentlich wäre das alleine schon spannend genug, um etliche Artikel mit ihr zu füllen. Aber es ist nicht der Grund, warum sie sich an einem Donnerstagnachmittag in die strahlende Sonne setzt und anfängt zu erzählen.
Es sind geschlagene 27 Grad und die Luft ist drückend schwül. Marlene sitzt barfuß auf einer Bank in Frankfurt und trinkt trotz der Wärme einen Kaffee. Dann beginnt sie zu erzählen. Von einem Problem, mit dem wohl jede Frau schon einmal konfrontiert war: „Catcalling“.
Catcalling, das ist eine Form der sexuellen Belästigung im öffentlichen Raum oder auf Straßen. Dazu zählen sexistische Sprüche, das ungewollte Anmachen und Anfassen, aber auch das Hinterherhupen-, pfeifen oder -laufen. Es macht Betroffene unsicher, verängstigt sie und führt dazu, dass sich viele nicht mehr (ohne Begleitung) an die Stellen trauen, an denen sie gecatcalled wurden. In einigen Fällen kann auch eine therapeutische Behandlung für Betroffene notwendig werden.
Dass sowas in unserer Gesellschaft keinen Platz haben sollte, findet auch Marlene. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, Catcalling anzukreiden. Und das wortwörtlich: Nach dem Vorbild des Instagram-Accounts „catcallsofnewyork“ zieht die Schauspielerin schon seit September des vergangenen Jahres mit Kreide als “catcallsofffm” durch Frankfurt. Mit dieser hält sie die Ereignisse fest, die ihre Follower ihr zusenden – und zwar auf der Straße, an den Orten, an denen es zu Catcalling und sexueller Belästigung gekommen ist.
„Ich mache es, weil es Leid auslöst“, sagt die gebürtige Wiesbadenerin. Sie wolle nicht in einer Welt leben, in der man immer damit rechnen müsse, auf der Straße belästigt zu werden. Stattdessen wollen sie und die vielen weiteren Accounts dieser Art „die Thematik aus der theoretischen Ecke holen und zeigen, dass es das Leben von vielen verschlechtert.“
Am Anfang habe Marlene gar nicht mit dem emotionalen Ausmaß gerechnet, aber überraschend sei es nicht gewesen: „Ganz viele Nachrichten treffen mich total“, erzählt sie. Marlene müsse dann immer in der richtigen Stimmung sein, um sich mit dem Thema auseinandersetzen zu können, denn es erfordere viel Kraft. Eben diese Kraft brauchen aber auch die Frauen – und es waren bislang immer Frauen – die offen über ihre Erfahrungen sprechen. Einige Ereignisse liegen schon Jahrzehnte zurück. Für die Schauspielerin ein Anzeichen dafür, wie lang Belästigung jemanden beschäftigen kann: „Mir war nie bewusst, wie viel es den Leuten bedeutet.“
Mittlerweile ist Marlene Teil eines fünfköpfigen Teams und ihr Instagram-Account von dem Dachverband der „catcallsof“ verifiziert. Regelmäßig gibt es digitale Mitgliederversammlungen um sich gegenseitig auszutauschen. Manchmal würden Probleme auftreten, bei denen es gut sei, einen Ansprechpartner zu haben. Das gilt auch für alle Menschen, die Opfer von sexueller Belästigung und Catcalling geworden sind. Marlene bietet für sie ein offenes Ohr, antwortet auf Nachrichten und regt sich gemeinsam mit ihnen auf. Die Kreide-Aktion sei ein Weg, um die gemeinsame Wut und Hilflosigkeit zu kanalisieren und der Ungerechtigkeit etwas entgegenzusetzen.
„Ich hoffe, dass Accounts wie unsere zumindest für Gespräche sorgen. Da hat man das Gefühl, wenn mehr darüber gesprochen wird, dass es Leuten bewusster wird“, sagt Marlene und erzählt von den vielen positiven Reaktionen, die sie für ihr Tun erhält: „Leute finden es toll, machen sich aber auch Sorgen.“ Und das zurecht: Auch wenn es sehr selten passiert, erntet die 34-Jährige immer wieder Kritik und unfreundliche Kommentare. Einmal sei eine Frau aus ihrem Auto ausgestigen und habe gesagt, sowas gäbe es in Deutschland doch gar nicht, erinnert sich Marlene. Doch leider gibt es sowas eben doch und zwar nicht zu wenig. Sie selbst und ihr Team kommen kaum noch hinterher bei der Menge der Nachrichten zum ankreiden: „Wir haben den Anspruch alle Calls zu machen“, sagt sie, „Wir überlegen uns dann Routen.“
Wie viele andere auch, hofft Marlene nun auf eine Petition, die fordert, Catcalling strafbar zu machen. Das würde etwas klar machen, hofft sie. Es wäre schon eine größere Hürde, wenn es eine Straftat wäre, schließlich gebe es keine Möglichkeit sich permanent zu schützen.
(Text: as)
Weiterführende Links:
1. https://www.instagram.com/catcallsofffm/
2. https://www.openpetition.de/petition/online/es-ist-2020-catcalling-sollte-strafbar-sein