Ingo Zamperoni referiert in Münster über den kaputten politischen Diskurs in den USA

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„Es gibt nur noch A oder B“: „Tagesthemen“-Moderator Ingo Zamperoni referierte in Münster auf Sparkassen-Einladung vor 350 Gästen über den kaputten politischen Diskurs in den USA. (Foto: jedö)

Erneute Trump-Kandidatur denkbar, „aber der Strippenzieher im Hintergrund gefällt ihm auch ganz gut“

Als „Verfolgung einfacher Bürger, die einen legitimen Diskurs führen wollten“, diskreditieren weite Teile der Republikanischen Partei die politische Aufarbeitung des gewaltsamen Sturms auf das Kapitol durch Tausende US-Bürger im Januar 2022. Am Donnerstag war der schwerwiegende Vorfall 485 Tage her, was dem als Journalisten, Buchautoren, Honorarprofessor und vor allem „Tagesthemen“-Moderator bekannten Ingo Zamperoni in der Münsterer Kulturhalle den Titel seines einstündigen Vortrags lieferte: „485 Tage nach dem Sturm auf das Kapitol – wo sind die Trump-Anhänger?“ Auf Einladung der Sparkasse Dieburg gab Zamperoni rund 350 Zuhörern zumindest näherungsweise Antworten.

Während der Kapitol-Sturms mit fünf Toten und noch viel mehr psychisch geschädigten Opfern juristisch weitgehend abgehandelt ist – 700 Ermittlungsverfahren, Dutzende Urteile, nur wenige allerdings mit Haftstrafen wie gegen den rechtsextremen „Büffelmenschen“ Jake Angeli -, dauert der Untersuchungsausschuss im politischen Washington unter überwiegender Ablehnung durch die Republikaner an. Im Sommer könnten sie zum Abschluss kommen, nahm Zamperoni in Münster an. Eine gewisse Befriedung der innenpolitischen Lage in den Staaten, aus denen der Sohn eines Italieners und einer Deutschen und Ehemann einer US-Amerikanerin zwei Jahre lang selbst für die ARD berichtet und wo er einen Teil seines Jura- und Geschichtsstudiums absolviert hatte, sah der 1,95-Meter-Schlaks damit nicht kommen.

Nach dem Vortrag stellten einige der 350 Zuhörer in der Münsterer Kulturhalle Fragen. (Foto: jedö)

Wegweisend, so der gebürtige Hesse, der in Wiesbaden aufgewachsen ist, das Publikum am Donnerstag standesgemäß mit einem „Gude!“ begrüßte und wegen des Eintracht-Spiels gegen West Ham stets die Uhr im Blick behielt, würden im November die „Midterms“: Diese Wahlen finden zur Halbzeit der vierjährigen Amtszeit des US-Präsidenten statt, wobei die Wahlberechtigten das komplette Repräsentantenhaus, ein Drittel des Senats sowie einige Gouverneure neu bestimmen dürfen. Zamperonis Erwartung: Sollten dabei jene Republikaner besonders gut abschneiden, die die Linie des 2020 abgewählten Donald Trump verfolgen, könnte der 75-Jährige für die Wahl 2024 seinen Hut erneut in den Ring werfen.

Zamperoni schränkte allerdings ein, dass er das selbst bei erfolgreichen Midterms nicht für ausgemachte Sache halte: „Der Strippenzieher im Hintergrund gefällt ihm auch ganz gut. Und Präsident ist schon ein Knochenjob.“ Es könne durchaus Trumps Kalkül sein, den nun im Weißen Haus regierenden Joe Biden in erster Linie mit allen Möglichkeiten zu „ärgern“ und ihm das Leben so schwer wie möglich zu machen. Dem liege eine extrem polarisierte Gesellschaft zugrunde, in denen die Lager der Republikaner und Demokraten mittlerweise so verfestigt seien, dass es „nur noch A oder B“ gebe. „Ich habe den Eindruck, dass es kaum noch möglich ist, jemanden von der anderen Seite zu gewinnen“, sagte Zamperoni, der in seine Erläuterungen auch kurze geschichtliche Exkurse streute.

Seine Beschreibung eines Lands, in dem derzeit die Debatten ums Waffenrecht und das Abtreibungsgesetz sowie die (für dortige Verhältnisse) hohen Spritpreise klar den Ukraine-Krieg überlagerten, kam nach Rückmeldungen der Besucher gut an. Diese durften in einer anschließenden, halbstündigen Talkrunde mit dem Sparkassen-Vorstandsvorsitzenden Markus Euler auch eigene Fragen stellen. Noch rechtzeitig vor dem Anstoß des Eintracht-Spiels hatten alle ihren Horizont ein bisschen Richtung ferner Westen erweitert.

(Text: jedö)