Münster: Schiedsrichter werden zu Lebensrettern

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Haben einem Mann auf der Autobahn das Leben gerettet (v. l.): die Fußball-Schiedsrichter Paul-Ferdinand Wiemer, Marcel Köhler (beide aus Münster) und Justin Pimenta. (Foto: jedö)

Die Münsterer Fußball-Schiedsrichter Paul-Ferdinand Wiemer und Marcel Köhler haben mit ihrem Kollegen Justin Pimenta einem Mann auf der Autobahn das Leben gerettet

Zwei Fußball-Schiedsrichter aus Münster sind zusammen mit einem Kollegen Ende Juli auf der Autobahn A8 bei Kirchheim unter Teck zu Helden geworden: Die Münsterer Paul Ferdinand Wiemer (17, pfeift für den SV Münster) und Marcel Köhler (24, SV Kickers Hergershausen) sowie der Groß-Umstädter Justin Pimenta (SV Darmstadt 98, zudem Trainer des TSV Wiebelsbach) haben nach einem Autounfall einem 51-jährigen Mann das Leben gerettet. Wiemer als Jüngster des Trios übernahm dabei in vorbildlicher Weise das Kommando.

Es sollte ein entspanntes Wochenende werden, als sich die drei jungen Männer an jenem Freitagabend auf den Weg nach Tannau im Bodensee-Kreis machten. Seit mehr als 30 Jahren fährt in der Sommerpause eine Delegation der Schiedsrichtervereinigung Dieburg dorthin, um bei einem Hobbyturnier mitzukicken und den Austausch zu Unparteiischen anderer Fußball-Kreise zu pflegen. Wiemer und Köhler fuhren zusammen in einem Auto; Pimenta saß mit drei weiteren Referees in einem zweiten Wagen. In gelöster Stimmung wollten sie am späteren Abend am Zielort eintreffen.

Doch dann geschah Einschneidendes: Gegen 20 Uhr fuhren sie an besagter Stelle südöstlich von Stuttgart durch den stockenden Autobahn-Verkehr. „Dann haben wir die Unfallstelle gesehen“, sagt Wiemer. Die Szenerie: Auf dem linken Fahrbahnstreifen standen drei Autos, dazwischen mehrere Personen. In langsamem Tempo passierte erst das Auto mit Wiemer und Köhler und dahinter jenes mit Pimenta die Stelle. „Paul sagte mir sofort, dass ich anhalten sollte“, erzählt Köhler. „Ich hatte in diesem Moment den gleichen Gedanken.“

Drama auf der Autobahn

Denn beide hatten in wenigen Sekunden erfasst, dass sich auf dem Asphalt ein Drama abspielte. „Ich habe gesehen, dass zwischen den Autos einer liegt“, sagt Wiemer. Mehr noch: „Mir ist im Vorbeifahren gleich aufgefallen, dass es nicht effizient war, was die drei, vier Leute gemacht haben, die schon ums Opfer herumstanden.“ Den ungewöhnlich gut geschulten Blick von Wiemer muss man erklären: Der Schüler engagiert sich nicht nur seit Jahren ehrenamtlich bei der Johanniter-Unfall-Hilfe Dieburg, sondern absolviert derzeit neben der Schule auch noch eine Ausbildung zum Rettungssanitäter. Auch Pimenta ist in Sachen Ersthilfe erfahren: Der 19-Jährige, derzeit in der Ausbildung zum Feinwerkmechaniker, hat sich als Schüler zum Sanitätshelfer fortgebildet und bekämpft als Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr Groß-Umstadt derzeit den Muna-Brand bei Münster. Er reagierte wie Wiemer und Köhler, der als Personaldisponent arbeitet, und hielt sofort an.

Später sollte sich herausstellen: Der Unfall war erst ein bis zwei Minuten vor ihrem Eintreffen geschehen. Der Fahrer hatte am Steuer einen Herzinfarkt erlitten; im Auto saß auch sein zehnjähriger Sohn, der nach der Attacke (wohl durch Ziehen der Handbremse) geistesgegenwärtig geholfen hatte, das Auto zum Stehen zu bringen. Dabei hatte es einen Auffahrunfall ausgelöst, bei dem nur ein leichter Blechschaden und keine Personenschäden im anderen Wagen entstand. Das dritte Auto gehörte einem Paar, das ebenfalls helfen wollte.

Der 51-Jährige aber kämpfte um sein Leben. In rasantem Tempo nahm Wiemer, der den Vorfall kenntnis- und detailreich schildert, das Heft in die Hand. „Ich bin ausgestiegen und habe mir die Warnweste geschnappt“, berichtet er. Auf dem Weg zum Opfer scannte er, ob aus den Fahrzeugen Betriebsstoffe auslaufen und die Hilfe an der noch ungesicherten Unfallstelle möglich war. „Der Schutz der Helfer muss immer gewährleistet sein“, stellt er heraus. Am Opfer übernahm er sofort von den anderen: „Beim Basischeck habe ich festgestellt, dass der Mann nicht ansprechbar war. Relativ schnell habe ich seinen Herzstillstand bemerkt.“

Daraufhin riss ihm Wiemer das Hemd auf und begann mit der Herzdruckmassage. „Ich habe ihm 30-mal den Brustkorb gedrückt und ihn dann zweimal von Mund zu Mund beatmet.“ Parallel wies er die Umstehenden an, die Unfallstelle zu sichern. Köhler und Pimenta assistierten und kümmerten sich insbesondere um den verstörten Sohn. „Er hat uns mehrmals gefragt, ob sein Vater gestorben sei“, beschreibt Köhler die Grenzerfahrung. Auch Wiemer sagt: „Ich werde nie vergessen, wie er gefragt hat: ,Ist mein Vater tot?’“ Schließlich gelte auch in solch extremen und unklaren Situationen die Maxime: „Lüge niemals ein Kind an!“

15 Minuten Herzdruckmassage

Noch vor dem Eintreffen des Notarztes und vier Mitarbeitern des Rettungsdiensts kamen am Unfallort zufällig zwei Polizisten vorbei. Sie hatten eine Beatmungsmaske dabei, die Wiemer in seine Reanimation einbezog. „Dann begann der Mann mit Schnappatmung, allerdings nur kurzfristig und bei ineffizienter Atemfrequenz“, so Wiemer. „Nach einer halben Minute kehrte der Herzstillstand zurück“, beschreibt er das Auf und Ab. Rund eine Viertelstunde lang reanimierte der 17-Jährige den Mann weiter. Zwischenzeitlich kam die Feuerwehr im Löschfahrzeug und brachte einen Defibrillator mir. „Den haben wir relativ schnell ausgelöst.“ Dann traf auch der Notarzt ein, der das Opfer intubierte. Schließlich war auch der Rettungswagen da, in dem die Sanitäter die Reanimation von Wiemer übernahmen.

Rund anderthalb Stunden später – die A8 war inzwischen voll gesperrt – hatten sie das Opfer in einen stabilen Zustand gebracht. An den Folgetagen erfuhr das Trio aus den Medien, dass der Mann überlebt hatte. Die Schiedsrichtervereinigung Dieburg veröffentlichte vor wenigen Tagen eine Mitteilung, in der sie betont: „Ohne das schnelle Handeln der drei, so bestätigen es die Rettungskräfte, wäre es für den Vater sicherlich tödlich ausgegangen.“

Auf der Weiterfahrt gen Bodensee war das gute Ende trotz erster Stabilisierung des Mannes zunächst noch nicht sicher absehbar gewesen. „Im Auto herrschte erstmal Totenstille“, sagt Marcel Köhler. Der Unfall, bei dem Paul-Ferdinand Wiemer, Justin Pimenta und er wahrhaft heldenhaft reagierten und bei dem sie nach Wiemers Einschätzung keine drei Minuten später hätten eintreffen dürfen, beschäftigt sie ungeachtet des guten Endes bis heute. Dennoch ist sich das Trio einig: „Wir würden es immer wieder tun!“ Wiemer lobt seine Schiedsrichterkollegen für ihre entschlossene und gegenüber dem Kind feinfühlige Mithilfe. Köhler ist besonders von Wiemer sowie seiner Handlungsschnelligkeit und Kompetenz beeindruckt: „Ich bin auf Paul einfach stolz! Er hat einem Menschen das Leben gerettet.“

(Text: jedö)