Holocaust-Gedenktag in Rödermark: Michel Friedman zu Gast in der NBS

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Michel Friedman referierte vor Jugendlichen der Oberstufe über mehrere, miteinander verzahnte Themenfelder. (Foto: Stadt Rödermark)

Einen prominenten Gast hatten die Stadtverwaltung und die Nell-Breuning-Schule anlässlich des diesjährigen Holocaust-Gedenktages eingeladen. Michel Friedman kam nach Rödermark und referierte dort in der NBS-Pausenhalle vor Jugendlichen der Oberstufe über mehrere, miteinander verzahnte Themenfelder. Menschenverachtung und -vernichtung im NS-Terrorstaat, die Situation jüdischer Überlebender am Beispiel seiner eigenen Familie, aber auch Gedanken allgemeiner Natur zum Stichwort „Fremdsein“ mit Bezug zur heutigen Gesellschaft: Diesen Kanon beleuchtete der Intellektuelle rund 90 Minuten lang – und das Auditorium war beeindruckt.

Jurist, Publizist, politisch und philosophisch bewanderter Kopf, Moderator von Talkshows, scharfzüngig, streitlustig, polarisierend: Bei Friedman, der Mitte der 1960er als Kind mit seinen Eltern von Paris nach Frankfurt am Main übersiedelte, sind stets eine Unmenge an Vokabeln im Umlauf, wenn es darum geht, seine „schillernde Persönlichkeit“ zu beschreiben. Dass er abseits der Schubladen-Stereotype ein Mann mit Empathie und Tiefgang ist: Das beweist der 66-Jährige bei seiner Stippvisite im Schulgebäude an der Kapellenstraße.

„Ich bin auf einem Friedhof geboren worden. 50 Angehörige meiner Familie wurden während der Nazi-Herrschaft umgebracht. Meine Eltern und eine Großmutter haben überlebt, dank der Hilfe von Oskar Schindler. Für mich stellt sich die Frage, wo die Ermordung der Menschen damals begonnen hat. Letztendlich wurden all diese Taten möglich, weil Millionen Leute über Jahre hinweg nichts gesagt haben.“ Mit diesen Kernsätzen spiegelt Friedman die Zeit des Faschismus – doch er kommt sehr schnell auf die Gegenwart zu sprechen.

Vorurteile gegen Menschen jenseits der Mehrheitsnorm, Ausgrenzung, Stigmatisierung, Diskriminierung auf dem Schulhof und im Alltagsleben – verknüpft mit der Erkenntnis, „dass Hass immer Hunger hat“: Darüber macht sich der Protagonist auf dem Podium seine Gedanken. Er schlägt den Bogen zur Lebenswirklichkeit seiner Zuhörer, ehe sich eine Dialog-Runde anschließt. Ob er manchmal auch Selbstzweifel und Resignation angesichts der rauen gesellschaftlichen Realität verspüre? Ob es denn auch gut begründete Grenzen der Zivilcourage mit Blick auf den Eigenschutz geben könne? Das wollen zwei Fragesteller von ihm wissen.

Friedman antwortet ehrlich, ohne starre Schwarz-Weiß-Raster, er geht mutig in die Grautöne zwischen Pro und Contra. Eben so, wie man ihn aus dem öffentlichen Diskurs kennt: Als jemanden, dem dogmatische Glaubenssätze und kategorische „Das gibt’s nicht“-Parolen zuwider sind. Sein Plädoyer zur berühmten Frage „Lehre(n) aus der Geschichte?“ mündet in ein Loblied auf den Individualismus.

Gut gemeinte, aber womöglich billige Ratschläge wolle er gar nicht geben, versichert der einstige Vize-Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland – und skizziert dann doch einen Rahmen, den er für essenziell hält: „Achten Sie die individuelle Würde jedes einzelnen Menschen, mischen Sie sich ein, ergreifen Sie Partei für Pluralität und Vielschichtigkeit.“ Denn schließlich, so seine Beobachtung, habe doch jeder Mensch ein Recht darauf, „einmalig zu sein“.

Authentisch sein, unangepasst, auch widerborstig und unbequem, wenn es die Umstände erfordern… Das seien gleichsam zeitlose Gebote der jeweiligen Zeit, schlussfolgert Friedman. Viele prägnante Sätze reiht er aneinander. Von der Kraft des Einzelnen ist auffallend oft die Rede. Sein Bekenntnis: „Ich habe schon mit 13 Jahren nicht mehr an Gott geglaubt. Ich glaube an den Menschen.“ Und einen finalen Fingerzeig für sein junges Publikum hat er schließlich auch noch: „Wenn du eine Leidenschaft spürst, dann lebe sie!“

(Text: PM Stadt Rödermark)