Mangelhafte Durchsetzung verbriefter Rechte
Kranke Kinder, vor allem solche mit schweren, seltenen und chronischen Erkrankungen, können in Deutschland vielfach nicht angemessen medizinisch versorgt werden: Es fehlen Spezialambulanzen, Betten – insbesondere auf den Intensivstationen –, Kinderärztinnen und -ärzte, Praxen sind überlastet, Eltern warten zu lange auf Termine. Dabei sind die Rechte kranker Kinder in der UN-Kinderrechtskonvention und in der Verfassung des Landes Hessen verankert. Mit Unterstützung der ODDO BHF Stiftung konnten die Vereine Hilfe für krebskranke Kinder Frankfurt e. V. und Kinderhilfestiftung Frankfurt e. V. zu einem Diskussionsabend in den Räumen der ODDO BHF SE Bank einladen, bei dem die Frage nach der konkreten Umsetzung der Kinderrechte im Fokus stand. Schnell wurde deutlich: Es besteht akuter Handlungsbedarf, in der medizinischen Versorgung kranker Kinder gibt es gravierende Mängel.
Der Diskussionsabend vor rund 70 Gästen mit Expertinnen und Experten aus der Medizin und dem Sozialbereich war bereits die dritte Veranstaltung der beiden Vereine zum Thema. „Die Rechte kranker Kinder sind in unserer Arbeit zentral“, stellt Dr. Michael Henning fest, Vorstandsvorsitzender der Kinderhilfestiftung Frankfurt e. V. „In unseren Diskussionsabenden suchen wir den Dialog mit Menschen, die sich für diese Rechte einsetzen.“
Auf dem Podium der jüngsten Veranstaltung am vergangenen Freitag (19.) saßen neben dem hessischen Innenminister Prof. Roman Poseck, Prof. Dr. Philipp Donath, University of Labour an der Goethe-Universität Frankfurt, Prof. Dr. Udo Rolle, Präsident European Pediatric Surgery Association / Präsident World Federation of Associations of Pediatric Surgery, Dr. phil. Christoph Schickhardt, Sektion translationale Medizinethik am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg, und Judith Wiesner, Projektbeauftragte Kinderrechte am Clementine Kinderhospital Frankfurt. Sie erörterten unter der Leitung von Prof. Dr. Thomas Klingebiel, dem ehemaligen Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin der Universitätsmedizin Frankfurt, wie Kinderrechte im Alltag konkret umgesetzt werden können.
Dr. phil. Christoph Schickhardt vom NCT verdeutlichte die aktuelle Lage in klaren Worten. „In der harten Realität haben kranke Kinder in Deutschland kein Recht auf eine qualitativ hochwertige und angemessen zeitnahe Behandlung. Nicht als Verfassungsrecht und nicht als einklagbares Leistungsrecht. Die Praxis der niedergelassenen und stationären medizinischen und psychotherapeutischen Versorgung von Kindern in Deutschland ist strukturell derart mangelhaft, dass kranke Kinder oft nicht angemessen behandelt werden. Das vermeintliche Recht kranker Kinder wird in Deutschland – trotz des riesigen, teilweise selbstaufopfernden Einsatzes vieler einzelner Ärzte und Pflegekräfte – jeden Tag systematisch verletzt.“
Auch Prof. Dr. Philipp B. Donath von der Europäischen Akademie der Arbeit an der Universität Frankfurt sieht eklatante Mängel beim Durchsetzen der Kinderrechte: „Was fehlt, ist die konsequente Umsetzung und Überprüfung dieser Rechte im Alltag. Genau da müssen wir ansetzen: vom Klinikalltag über die Schule bis hin zur psychosozialen Unterstützung. Betroffen sind Strukturen, aber auch der Einsatz von finanziellen Mitteln an den richtigen Stellen. Wo diese Stellen sind, muss festgestellt und evaluiert werden. Es darf nicht sein, dass die Umsetzung der Kinderrechte weiterhin im Wesentlichen vom Engagement einzelner abhängt.”
Dass das Wohl der Kinder zumindest im hessischen Gesetzt unter Artikel 4 angemessen geschützt sei, darauf verwies der hessische Innenminister Prof. Roman Poseck. „Kinder haben eine Stimme, die auch rechtlich zur Geltung kommt. In Hessen hat das Kindeswohl Verfassungsrang. Der Artikel 4 verpflichtet Land, Städte und Gemeinden, das Kindeswohl bei allen Maßnahmen zu berücksichtigen sowie Kinder vor Gewalt und Vernachlässigung zu schützen und ihre Entwicklung zu fördern. Kinder sind unsere Zukunft. Sie sind ein wichtiger Teil unserer Gesellschaft und müssen Gehör finden.“
Wie wichtig es ist, Kinder anzuhören und deren Ängste und Sorgen ernst zu nehmen, zeigt ein Projekt des Clementine Kinderhospital und Bürgerhospital zur Stärkung von Kinderrechten im Krankenhaus. Die zuständige Kinderrechtsbeauftragte Judith Wiesner unterstrich die Notwendigkeit, das Thema Rechte mehr in den Fokus rücken: „Um Kinderrechte umzusetzen, müssen wir Kinder und Jugendliche im Krankenhaus nach ihrer Meinung fragen, ihnen zuhören und sie ernst nehmen. Kindgerechte Information und Partizipationsmöglichkeiten tragen zur weiteren Umsetzung bei. Wir brauchen mehr Bewusstsein für die Kinderrechte und Offenheit für Veränderungen.“
Auch über das Gesundheitssystem wurde kontrovers diskutiert. Krankenhäuser müssten effizient und wirtschaftlich betrieben werden, gleichzeitig seien sie hohen Kostensteigerungen ausgesetzt. Einen Vorschlag dazu brachte Prof. Dr. Jan-Henning Klusmann, Direktor der Kinder- und Jugendklinik, Universitätsklinikum Frankfurt, ein: „Man sollte den Bedarf für die Versorgung an hessischen Kinderkliniken ermitteln und daraus schließen, welche Ressourcen benötigt werden.“ Prof. Dr. Thomas Klingebiel ergänzte, dass über die Bedarfe und die notwendigen Ressourcen auf einem Kindergipfel diskutiert werden könnte.
Bereits vor zwei Jahren haben die Hilfe für krebskranke Kinder Frankfurt und die Kinderhilfestiftung Frankfurt ein Positionspapier herausgegeben, das die Durchsetzung der Kinderrechte anmahnt. Das Positionspapier ist online zu finden unter https://kinderhilfestiftung.org/wp-content/uploads/2024/09/Positionspapier-kranke-Kinder-haben-Rechte.pdf.
Über Hilfe für krebskranke Kinder Frankfurt e. V.
Seit 1983 ist der Verein Hilfe für krebskranke Kinder Frankfurt e. V. Ansprechpartner für betroffene Familien. Mit einem in Hessen einzigartigen Dreiklang aus HELFEN, HEILEN, FORSCHEN unterstützt der Verein in seinem Familienzentrum krebskranke Kinder, Jugendliche und deren Familien auf umfassende Weise.
Seit vier Jahrzehnten betätigt sich der Verein als gemeinnützige Spendenorganisation: langfristig in Projekten, die eine dauerhafte Unterstützung benötigen, kontinuierlich, wo regelmäßige Hilfe gefragt ist und kurzfristig, wenn akut Hilfe gebraucht wird. Mit einem ehrenamtlich tätigen Vorstand, vielen ehrenamtlichen Helfern sowie einem Team aus geschulten Fachkräften.
Der Verein Hilfe für krebskranke Kinder Frankfurt e. V. hat die Vision, dass alle an Krebs erkrankten Kinder geheilt werden und eine Zukunft ohne Spätfolgen haben. Dafür setzt er sich ein. Jeden Tag. Mit Herzblut. Weitere Infos: www.kinderkrebs-frankfurt.de.
(Text: Gemeinsame Pressemitteilung der Vereine Hilfe für krebskranke Kinder Frankfurt e. V. und der Kinderhilfestiftung Frankfurt e. V.)