Eine Reise in die Vergangenheit: Ur-Ur-Enkelin der jüdischen Familie Strauss besucht Eppertshausen

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Familie Fass Eppertshausen
Bild: Gemeinde Eppertshausen.

„Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist.“
Dieser Satz aus dem Talmud stand am 4. Juli 2025 wie ein stilles Leitmotiv über einem ganz besonderen Tag in Eppertshausen.


Regina Lewald-Fass aus Connecticut, USA, ist Ur-Ur-Enkelin von Regina Strauss – einer Frau, die 1883 aus Eppertshausen nach Amerika auswanderte. Gemeinsam mit ihrem Mann Jonathan und ihren beiden Kindern Michal und Erez reiste sie in die Heimat ihrer Vorfahren. Eine Reise voller Geschichte, Emotionen und neu entdeckter Wurzeln.

Der Anlass war mehr als persönlich. Vor einigen Jahren fand die Familie Briefe, geschrieben von Abraham Strauss – Reginas jüngerem Bruder und ein bekannter und hochgeachteter Futtermittelhändler in Eppertshausen. Über 100 Jahre lang waren die Briefe unbeachtet geblieben, geschrieben in altdeutscher Sütterlinschrift, ein Rätsel für die heutigen Nachfahren.

Erst durch eine Übersetzung kam Licht in die Vergangenheit

Namen, Orte, Geschichten – ein verlorenes Familienbild setzte sich langsam wieder zusammen. Aus den Zeilen sprach das Leben in Eppertshausen im 19. Jahrhundert: Kartoffelpreise, Familienschicksale, die Trauer um den Vater Moses, die Hochzeit des Bruders. Und später: das Grauen der NS-Zeit. Abraham Strauss und seine Frau Reicha wurden Ende der 1930er Jahre nach Frankfurt deportiert – Abraham starb kurz darauf.

Die Gemeinde Eppertshausen hatte bereits 2021 begonnen, mit einer Dokumentation über die Schicksale ihrer jüdischen Bürgerinnen und Bürger ein Zeichen gegen das Vergessen zu setzen. Eine erste Begegnung fand 2023 mit einem Urenkel des letzten Gemeindevorstehers statt. Im Juni 2025 meldete sich dann Jonathan Fass per E-Mail – und kündigte den Besuch seiner Familie an.

Geschichte wurde greifbar

Fachbereichsleiter Lutz Murmann begrüßte die Gäste herzlich und begleitete sie durch den Tag. Beim gemeinsamen Mittagessen mit Stephan Schrod, der schon seit 2022 mit Familie Fass in Kontakt stand, wurden Erinnerungen geteilt – und Geschichte greifbar. Die Großmutter von Stephan Schrod, Elisabeth Schrod, kannte die Familie Strauss noch persönlich und hatte vor Ihrem Tod 2024 in persönlichen Gesprächen insbesondere von den Ereignissen in der Reichspogromnacht berichtet. Stephan Schrod konnte auch berichten, dass es Briefe von Ende des 19. Jahrhunderts gibt, die einen Kontakt zwischen seiner und der Familie von Regina Lewald-Fass belegen.

Regina Lewald-Fass erzählte, wie ihre Mutter gemeinsam mit ihr die jüdischen Wurzeln der Familie wiederentdeckt hatte. Heute leitet sie eine jüdische Schule in New York mit über 300 Kindern. Ihr Mann Jonathan ist Senior Managing Director beim Jewish Education Project. Der jüdische Glaube, einst verloren, ist in der Familie heute wieder lebendig.

Beim anschließenden Rundgang durch Eppertshausen wurden nicht nur Stationen der jüdischen Geschichte besucht, sondern auch die Valentinuskapelle aus dem 15.Jahrhundert und die katholische Pfarrkirche St. Sebastian. Der Ort der ehemaligen Synagoge und das alte Wohnhaus der Familie Strauss in der Hauptstraße 8  waren die emotionalen Höhepunkte des Tages.

Die Hoffnung, dass Erinnerung lebendig bleibt

„Es war so unwirklich, vor dem Haus meines Ur-Ur-Onkels zu stehen“, sagte Regina Lewald-Fass später. „Zu wissen, dass er genau hier lebte – und von hier aus in den Tod geschickt wurde. Es ist traurig, schmerzhaft, aber ich fühle auch Dankbarkeit und Hoffnung.“

Am Bernhard-Moses-Weg, wo heute die Gedenkstätte für die jüdischen Bürgerinnen und Bürger Eppertshausens steht, endete der Besuch. Die Familie war tief bewegt vom Engagement der Gemeinde und dem jährlichen Gedenken an die Shoah in Zusammenarbeit mit den beiden Kirchengemeinden.

„Es wäre so leicht, das alles zu vergessen“, sagte Regina Lewald-Strauss. „Aber was Sie hier tun, gibt uns Hoffnung, dass Erinnerung lebendig bleibt.“

Für alle Beteiligten war es ein bewegender Nachmittag – und ein Brückenschlag zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Zwischen Verlorenem und Wiedergefundenem. Zwischen Trauer – und der Hoffnung, dass Geschichte nicht vergessen, sondern verstanden wird.

(Text: Pm Gemeinde Eppertshausen)