Bianca Kastl und Tim Lusa über die Entwicklung von GA-Lotse, eine der größten Open-Source Entwicklungen im Verwaltungsbereich in Deutschland
Bianca Kastl hat mit 13 Jahren ihre erste Website geschrieben, Tim Lusa mit 11 sein erstes Programm. Kastl nennt sich selbst „digitale Erklärbärin“ und ist in der deutschen Computer-Szene als Sicherheitsexpertin bekannt. Als Dr. Peter Tinnemann, Leiter des Frankfurter Gesundheitsamts, Kastl 2021 fragte, ob sie ins Gesundheitsamt Frankfurt am Main kommen will, um bei ein millionenschweres Digitalisierungs- projekt mitzuwirken, dachte sie – „das kann ich und das mache ich“. Informatiker Lusa, der 2023 zum Projekt stieß, ist die ideale Ergänzung zu Kastl: „Wir betrachten unsere eigene Arbeit und die des/der anderen immer sehr kritisch, hinterfragen gemeinsam unsere Ideen und denken gleichzeitig immer in dieselbe Richtung.“
Kastl und Lusa, beide 39 Jahre alt, sind Product Owner von GA-Lotse, der größten Open-Source Entwicklung im Verwaltungsbereich in Deutschland, haben also die Produktvision der Software erarbeitet und verfolgt. Im Gesundheitsamt Frankfurt am Main unter der Führung von Stefanie Kaulich, Leiterin der Abteilung der Abteilung Digitale Zukunft, IT und strategische Planung, von einem bis zu 120-köpfigen Team entwickelt, seit 1. Oktober 2024 live, gilt GA-Lotse als Nonplusultra der Ämter-Softwares und kann von Gesundheitsämtern in ganz Deutschland genutzt werden.
Das Besondere an GA-Lotse: Der Satz „Public Money, Public Code“ ist Prinzip und Versprechen zu- gleich. Der Quellcode steht unter AGPL-3.0 und Apache 2.0 Lizenz auf Gitlab zur Verfügung. Behörden können sich einklinken, Module adaptieren oder mitentwickeln – über die OpenCoDE-Plattform oder bilateral. Und: Bei der Entwicklung hat das GA-Lotse Team die Nutzerinnen und Nutzer von Anfang an einbezogen. So entstand Schritt für Schritt eine Software, die sich an den Bedürfnissen ihrer User orien- tiert, sich durch die Integration der Arbeitsabläufe, einfache Useroberflächen und die Open-Source-Pro- grammierung auszeichnet. Ziel: Eine modular aufgebaute, einheitliche Software für alle Gesundheits- ämter und auch andere Behörden anzubieten, Schnittstellen zu schaffen und so die Zusammenarbeit einfacher und effizienter zu machen.
GA-Lotse wurde in Kooperation mit dem Hessischen Ministerium für Familie, Senioren, Sport, Gesundheit und Pflege und durch die Finanzierung der EU (nextGenerationEU) verwirklicht. Die Gesamtlösung besteht aus einem Basismodul und verschiedenen Fachmodulen, die die Anforderungen der jeweiligen
Fachabteilungen der Gesundheitsämter erfüllen. Ziel ist es, künftig nicht mehr verschiedene Programme für verschiedene Bereiche zu nutzen, sondern eine modular aufgebaute, einheitliche Software für alle hessischen Gesundheitsämter und über die Landesgrenzen hinaus anzubieten.
Kastl hat die Entwicklung der Software von Minute eins an begleitet, Lusa stieg 2023 ein, im Prozess kamen Entwicklerinnen, UX-Experten, Datenschutzbeauftragten und Verwaltungsfachkräften hinzu, sodass zeitweise bis zu 120 Personen die Verwirklichung von GA-Lotse vorantrieben. Hier berichten die beiden Product Owner, was die Entwicklung der Software auszeichnet, was sie persönlich daran gereizt hat und warum GA-Lotse ein Gewinn für Behörden und Bürger ist.
Am 1. Oktober 2024 ging GA-Lotse live – wie haben Sie sich gefühlt?
Bianca Kastl: Ich war entspannt. Das mag vielleicht komisch klingen, aber wir hatten die Software vorher immer wieder getestet und schon während des Prozesses immer wieder Big-Bang-Momente. Wir waren sicher, dass alles klappen würde. Am 1. Oktober war ich kein bisschen nervös.
Tim Lusa: Und nach dem 1. Oktober fing die Arbeit ja auch erst richtig an. Mit dem Startschuss beginnt bei einer Software der Lebenszyklus, sie wird seither zum ersten Mal in verschiedenen Fachabteilungen des Frankfurter Gesundheitsamts genutzt. Vier von acht Fachmodulen wurden zu diesem Zeitpunkt eingeführt, beispielsweise das für die Einschulungsuntersuchung. Zeitgleich begann der Rollout der Software in anderen hessischen Gesundheitsämtern. Eine wilde Zeit.
Was hat Sie an der Entwicklung einer einheitlichen Software für Gesundheitsämter gereizt?
Bianca Kastl: Der Gedanke, dass ich mit dem, was ich tue, einen Mehrwert für die Gesellschaft schaffen kann.
Tim Lusa: Vor uns lag eine grüne Wiese und wir hatten die Chance, alles richtig zu machen.
Alles richtigmachen – wie genau meinen Sie das?
Tim Lusa: Das GA-Lotse-Team konnte bei der Entwicklung von GA-Lotse alles so machen, wie man es gemäß heutiger Anforderungen machen sollte. Höchste Standards in den Bereichen Privacy und Datenschutz waren uns genauso wichtig wie die Usabilty. Wir haben sehr viel Wert daraufgelegt, dass die Software gut in der Benutzung ist. Darum haben wir die Mitarbeitenden der verschiedenen Abteilungen des Frankfurter Gesundheitsamts und anderer hessischer Gesundheitsämter von Anfang an in die Entwicklung mit einbezogen.
Bianca Kastl: Wir wollten mit GA-Lotse einen Mehrwehrt für die Verwaltung schaffen, eine Basis, auf die sich mit geringem Aufwand eine Nutzung in anderen Bereichen einer Stadtverwaltung aufbauen lässt: zum Beispiel im Bürgeramt. Wichtig war uns auch, dass die Software nicht aussieht wie man es von ei- ner Behördensoftware erwarten würde – wir wollten keinen sachlichen Look, sondern einen der Freude macht. Wir wollten bewusst einen anderen Weg gehen.
Sie sprechen von einem Mehrwert für die Gesellschaft und der Chance, alles so zu machen, wie man es machen sollte: Haben die Bürgerinnen und Bürger auch etwas von GA-Lotse?
Bianca Kastl: Indem wir den Mitarbeitenden in den Verwaltungen ein Tool an die Hand geben, mit dem sie zeitgemäß digital arbeiten können, erleichtern wir es ihnen, datenbasierte Erkenntnisse über die Gesundheit der Bevölkerung zu gewinnen und gegebenenfalls passende Maßnahmen zum Schutz oder der Förderung ihrer Gesundheit zu ergreifen. GA-Lotse vereinfacht viele Prozesse und spart Zeit. Diese Zeit können die Mitarbeitenden nutzen, um sich den Menschen, die sie untersuchen oder beraten, neuen Projekten oder der Forschung zu widmen.
Tim Lusa: Die Menschen in der Stadt profitieren auch ganz praktisch von GA-Lotse: Künftig wird es einen digitalen Flow geben. Er ermöglicht, Termine, zu denen man vom Gesundheitsamt eingeladen wird, zum Beispiel zur Einschulungs- oder einer amtsärztlichen Untersuchung, falls nötig zu verschieben oder benötigte Daten unkompliziert und dennoch sicher hochzuladen.
Wenn Sie an die größte Herausforderung während der Entwicklung denken und an den größten Spaß – was fällt Ihnen ein?
Tim Lusa: Für mich persönlich war die größte Herausforderung gleichzeitig der größte Spaß: Andere von unserer Vision überzeugen. Gemeinsam neue Wege gehen. Bis zu 120 Leute haben im GA-Lotse- Team gemeinsam daran gearbeitet, eine große Vision zu realisieren. Ein Projekt dieser Größenordnung ist schon ein spezieller Job.
Bianca Kastl: Es war eine Herausforderung, immer fristgerecht abzuliefern. Die ganze Entwicklung ging wahnsinnig schnell. Am meisten Freude gemacht hat mir, in einem so bunten Entwicklerteam diverser Fachrichtungen zusammenzuarbeiten, bei den regelmäßigen Reviews zu sehen, wie unsere Software sich zusammenbaut. Und der Gedanke, etwas Sinnvolles für die Gesellschaft zu tun.
Sie sagen, die Entwicklung ging wahnsinnig schnell – wie schnell genau?
Tim Lusa: Wir hatten elf Monate Entwicklungszeit. Für ein derart großes Projekt ist das ist ein extrem kurzer Zeitraum. Mit der Entwicklung waren wir ungewöhnlich schnell. Wir sind in time fertig geworden und wie geplant am 1. Oktober 2024 live gegangen. Auch das ist bei solchen Projekten nicht unbedingt üblich.
Gibt es noch andere Punkte, die in der Entwicklung von GA-Lotse eher jenseits des Üblichen lie- gen?
Bianca Kastl: Unsere Rolle und die Rolle des Frankfurter Gesundheitsamts. Dass eines der größten Open Source-Projekte in der Verwaltung unter der Federführung einer kommunalen Behörde in Kooperation mit einem Landesministerium realisiert wurde, ist außergewöhnlich. Und dass Tim Lusa und ich als Product Owner von GA-Lotse nicht nur dafür verantwortlich sind, eine Produktvision zu entwickeln und zu verfolgen, sondern auch unser technisches Know-how einbringen, auch.
Welche Punkte lagen Ihnen bei der Entwicklung besonders am Herzen?
Bianca Kastl: Höchste Standards bei Datenschutz und Privacy zu wahren. Das ist uns offenbar auch ge- lungen – GA-Lotse wurde mit dem InfoSec Impact Award ausgezeichnet. Eine Auszeichnung, die vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik und Next e.V. gestiftet wird und herausragende Leistungen im Bereich der Informationssicherheit in der Verwaltung honoriert.
Tim Lusa: Und dass die Nutzerinnen und Nutzer trotz höchster Standards schnell und effizient arbeiten können. Während des Entwicklungsprozesses lag mein Fokus auf der technischen Umsetzung, Bianca Kastls auf Privacy und Security. Wir haben vollkommen unabhängig voreinander Entscheidung getroffen und doch immer in dieselbe Richtung gedacht.
In Ihren Worten: Warum sollten Ämter diese Software nutzen?
Tim Lusa: Das gesamte GA-Lotse-Team versucht, mit einer Software, die Spaß macht und sich kontinuierlich entwickelt, Prozesse zu vereinfachen. Außerdem wollen wir die Zusammenarbeit zwischen Ge- sundheitsämtern und allen weiteren Verwaltungen sicher und unkompliziert gestalten. Die Software zu nutzen, heißt auf Fortschritt zu setzen, den Mitarbeitenden langfristig ein angenehmeres Arbeiten zu ermöglichen und vor allem einen gemeinsamen Schritt zu einheitlicher Software und einer digitaleren, si- cheren Verwaltung zu gehen.
Bianca Kastl: GA-Lotse ist eine zeitgemäße und gut nutzbare Anwendung, die das Arbeiten in Ämtern, aber auch den Austausch mit Ämtern für Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen einfacher und sicherer macht. Warum sich das Arbeiten schwermachen, wenn es mit GA-Lotse auch viel einfacher sein kann?
Wie geht es weiter?
Bianca Kastl: Eine Software ist quasi nie fertig, sondern erreicht immer wieder mehr Meilensteine. Bis Anfang 2026 sollen neue fachliche Module, aber auch mehr Funktionen, mehr Stabilität und kleinere Optimierungen für das, was wir bereits schon geschaffen haben, hinzukommen. Dazu kommt natürlich auch der Rollout der Software an immer mehr Gesundheitsämter in Hessen.
Tim Lusa: Zudem wollen wir die Möglichkeiten der GA-Lotse zugrundeliegenden Architektur weiter nut- zen. GA-Lotse als Anwendung für Gesundheitsämter ist nur eine Ausprägung von Software, die unsere Plattform ermöglicht. Das Team arbeitet natürlich darauf hin, das gesamte Potenzial der Plattform auszuschöpfen und weitere Anwendungsfälle zu finden und umzusetzen. Es gibt in allen Ämtern mögliche Use Cases und Anwendungen, die wir umsetzen könnten. Unser Ziel ist es, Verwaltung wirklich zu digitalisieren – transparent mit Open Source und vor allem als sichere, einheitliche Gesamtlösung, die den Raum für schnelle Zusammenarbeit bietet. Wir sollten alle aus den letzten fünf Jahren gelernt haben, wie wichtig schneller Informationsfluss ist. Mit Daten die uns weiterhelfen und gleichzeitig alle persönlichen Rechte schützen.
(Text: PM Gesundheitsamt Frankfurt)