Asklepios Psychiatrie Langen: Ängste und Süchte in virtueller Realität bewältigen

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Marti Pacurar, leitender Psychologe der Asklepios Psychiatrie Langen, mit VR-Brille. (Foto: Asklepios)

Schätzungsweise leiden in Deutschland aktuell etwa 5,5 Millionen Betroffene an einer behandlungsbedürftigen Angsterkrankung und rund 7 Millionen Menschen sind von Süchten wie der Alkoholabhängigkeit betroffen. Damit gehören diese beiden Diagnosen zu den häufigsten psychischen Erkrankungen und gehen für die Betroffenen und deren Angehörige oftmals mit massivem Leidensdruck und einem Wunsch nach der passenden Behandlung einher.


Sowohl in der Therapie von Angststörungen als auch bei der Suchtbehandlung spielen dabei psychotherapeutische Methoden, die eine Form von Konfrontation beinhalten und im Fachjargon „Expositionsverfahren“ genannt werden, eine entscheidende und wirksame Rolle. In einer solchen Expositionstherapie bei Angststörungen stellen sich Betroffene den von ihnen als bedrohlich empfundenen Situationen und lernen dabei, diese zu überwinden. So begeben sich Patienten mit einer Phobie vor Höhen nach intensiver Vorbereitung sowie unter therapeutischer Anleitung und Begleitung beispielsweise bewusst auf ein hohes Gebäude oder Betroffene, die unter der Angst leiden, sich sozial zu blamieren, halten gezielt einen Vortrag. Auf diese Weise kann das Gehirn die korrigierende und angstmindernde Erfahrung machen, entgegen der Befürchtungen der Situation doch gewachsen zu sein statt diese zu vermeiden, wodurch die Angst sich verschlimmern würde.

Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen eindeutig, dass solche Expositionstherapien zu den wirksamsten und erfolgreichsten Methoden zählen, Ängste langfristig zu bewältigen und den Betroffenen wieder eine hohe Lebensqualität zu ermöglichen. Gerade im stationären Alltag in einer Klinik ist es jedoch häufig sehr herausfordernd und mit vielen Hürden verbunden, solche Expositionsverfahren anzubieten, da die angstauslösenden Reize wie enge Aufzüge oder Bahnfahrten fehlen.

Aus diesem Grund entschied die Asklepios Psychiatrie in Langen sich dafür, die junge und innovative Technik der Virtuellen Realität (häufig abkürzt als VR) des Anbieters VR Coach zu nutzen und diese in die bestehenden psychotherapeutischen Behandlungsmöglichkeiten der Klinik zu integrieren. „Mit der VR-Brille ist es möglich, dass sich Betroffene in herausfordernde Situationen begeben, die so in der Klinik vorher nicht herstellbar waren“ berichtet Marti Pacurar, der leitende Psychologe der Asklepios Psychiatrie Langen. Mittels der Brille und der dazugehörigen Ausrüstung wie Controller, die Hände simulieren, können Patienten in virtueller Realität auf Hochhäusern stehen, auf einer Bühne vor Zuschauern einen Vortrag halten oder sogar in einem Flugzeug sitzen. Der Grad der Individualisierbarkeit ist dabei sehr hoch, so dass Behandlerinnen und Behandler gemeinsam mit Betroffenen zielgenau ein passendes VR-Szenario zur Angstbewältigung auswählen können. So besteht neben diversen Optionen wie der Einstellung, ob die Zuschauer beim virtuellen Vortrag tuscheln oder lachen, die Möglichkeit, dass virtuelle Personen vorher festgelegte individuelle Sätze aufsagen. Auch die Größe und das genaue Verhalten von Spinnen im entsprechenden Spinnenphobie-Szenario lässt sich frei einstellen, so dass patientenzentriert festgelegt werden kann, dass eine Expositionstherapie für Betroffene hilfreich und herausfordernd, aber niemals überfordernd ist. Dazu gehöre auch die Regel, dass immer eine Behandlerin oder ein Behandler bei der VR-Therapie dabei ist und die Betroffenen unterstützt, schildert Pacurar.

Doch nicht nur bei der Angsttherapie, sondern auch in der Behandlung von Abhängigkeitserkrankungen wird die VR-Technologie ab sofort in der Asklepios Psychiatrie in Langen zum Einsatz kommen. „Für die langfristige Bewältigung von Süchten ist es entscheidend, dass Betroffene in der Lage sind, suchtauslösende Reize wie Bierflaschen wahrzunehmen und auch den Suchtdruck zu spüren, sich dann aber bewusst dagegen zu entscheiden“ erklärt Dr. Harald Scherk, der Chefarzt der Klinik. Dies gebe den Betroffenen einen signifikanten Schub hinsichtlich ihrer Zuversicht, ihrer Motivation und ihres Selbstvertrauens. Analog zu den Ängsten gestaltete sich eine Expositionstherapie ebenso bei Abhängigkeiten bislang schwer im klinischen Alltag, auch aus rechtlichen Gründen bei illegalen Substanzen. Dies ändert sich auch durch die Einführung der VR-Therapie, bei der eine Vielzahl an Suchtszenarien wählbar sind. „Neben klassischen Orten mit starker Verbindung zum Alkohol wie einer Bar können wir Betroffene individuell je nach eigener Suchtgeschichte virtuell an einen Bahnhof, in ein Casino oder sogar auf die Toilette eines Clubs bringen, wo Kokain auf sie wartet“ erläutert Dr. Scherk. Dank der Controller können sie die entsprechenden Substanzen dort sogar in die Hand nehmen, um sich anschließend bewusst gegen den Konsum zu entscheiden.

Das bisherige Feedback sowohl von Seiten der Mitarbeitenden als auch der Betroffenen sei überwältigend positiv. Auch die vorher geäußerte Sorge, dass die virtuelle Realität zu künstlich sei, um einen therapeutischen Effekt auszuüben, habe sich nicht bewahrheitet. „Unsere Behandlerinnen und Behandler bei der Schulung sind ganz schön ins Schwitzen gekommen“ weiß Pacurar zu berichten.

Die Einführung der VR-Therapie ist dabei Teil einer groß angelegten Digitalisierungsstrategie, die von der Klinik und ihrer Geschäftsführerin Stefanie Rennerich bereits seit längerer Zeit verfolgt wird. „Wir haben den Anspruch, dass Mitarbeitende und Patienten in unserem Haus moderne und digitale Infrastruktur sowie Behandlungsmöglichkeiten vorfinden und wir am Zahn der Zeit sind“ berichtet sie. Neben der Virtuellen Realität gehören dazu beispielsweise psychologische Online-Diagnostik, ein digitales Essensbestellungssystem oder Minddistrict, eine Online-Psychotherapie-Plattform, die im Haus genutzt wird.

(Text: PM LPR)