„Ich empfinde das Leugnen als absolut pervers!“

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Hat durch Corona ihre Mutter und eine Bekannte verloren und ist dem Tod selbst von der Schippe gesprungen: die Münstererin Jutta Neubecker. (Foto: jedö)

Jutta Neubecker aus Münster hat binnen weniger Tage ihre Mutter und eine Bekannte durch Corona verloren und ist dem Tod selbst von der Schippe gesprungen / Voll des Lobs für medizinische und seelische Hilfe in der Kreisklinik Groß-Umstadt

(jedö) Eine Infektion mit dem Corona-Virus endet in den meisten Fällen glimpflich, kann aber auch dramatische Folgen haben. Die schlimmstmöglichen hat gerade Jutta Neubecker erlebt: Die Münstererin verlor am 28. November ihre 80-jährige Mutter und wenige Tage später eine 83-jährige Bekannte durch COVID-19, beide wohnten ebenfalls in Münster. Kurz darauf kämpfte Neubecker selbst um ihr Leben, das man in der Kreisklinik Groß-Umstadt rettete. Nun, weitgehend genesen, möchte die 52-Jährige ihre Geschichte erzählen, warnen – und danken.

Verständnis für eine Verharmlosung oder gar das Leugnen des Virus kann Jutta Neubecker längst nicht mehr aufbringen: „Ich empfinde das als absolut pervers!“, sagt sie nach jenen schlimmen Wochen, die sie vor Weihnachten durchmachte und die für gleich zwei Menschen ihres direkten Umfelds tödlich waren. Ihr eindringlicher Appell: „Leute, Corona gibt es! Ich hatte es! Meine Mutter hatte es! Sie ist daran gestorben! Bitte nehmt es ernst, bitte tragt Masken!“

Neubeckers Mutter hatte mehrere Vorerkrankungen, Probleme mit Herz und Lunge, eine Niereninsuffizienz. Ihre Tochter pflegte sie daheim, wie sie es auch für die etwas später ebenfalls verstorbene Bekannte tat. Als Neubeckers Mutter Mitte November plötzlich vor Schwäche umfiel und Fieber hatte, schrillten die Alarmglocken. Neubecker rief den Rettungswagen, „ihre Lunge war voller Wasser, die Ersthelfer haben sie sofort nach Groß-Umstadt ins Krankenhaus gebracht“. Noch vor der Einlieferung ergab ein Schnelltest den positiven Corona-Befund. „Meine Mutter kam sofort auf die normale Isolierstation und erhielt Sauerstoff.“ Neubecker selbst, obwohl Pflegeperson, wurde nicht direkt getestet, kurz darauf aber vom Gesundheitsamt in Quarantäne geschickt.

Entsprechend durfte nur ihr Bruder die Mutter in der Kreisklinik besuchen. Neubecker selbst konnte nur mit ihr telefonieren. Aus der Ferne bekam sie mit, wie sich der Gesundheitszustand ihrer Mutter nach einer Woche im Krankenhaus weiter verschlechterte. Während dieser ersten, noch hoffnungsvollen Woche hatten sich auch bei ihr erste Symptome bemerkbar gemacht. „Zunächst fing es mit Kopf-, Hals- und Gliederschmerzen an, ich war schlaff und lag im Bett.“ Der Hausarzt riet ihr, in die Praxis zu kommen, doch Jutta Neubecker versuchte es zunächst mit Ruhe und frei verkäuflichen Medikamenten.

Sowohl bei Mutter als auch Tochter verschlimmerte sich die Lage in Woche zwei dramatisch. Wenige Stunden vor dem Tod der Mutter teilte die Klinik den Angehörigen mit, dass es das Leben der 80-Jährigen nicht mehr würde retten können. „Zu dieser Zeit ging bei mir gar nichts mehr“, blickt Jutta Neubecker zurück. „Ich hatte mittlerweile unter anderem so krasse Kopfschmerzen, dass es sich anfühlte, als würde mir jemand von innen die Augäpfel rauskratzen. Ich konnte nur noch liegen und schon seit einer Woche nichts mehr essen.“ Was auch an heftigen Halsschmerzen gelegen habe, „mein Geschmackssinn war noch da“.

In der Nacht von Freitag auf Samstag starb ihre Mutter. Samstags hielt es dann auch die Tochter vor lauter Kopf- und Gliederschmerzen nicht mehr aus. „Ich habe den Notarzt gerufen“, erzählt sie. „Der hat sofort den Rettungswagen bestellt und mir gesagt, dass ich eine Lungenentzündung habe.“ Mehr noch: „Ich war am Ersticken, habe das aber selbst nicht so wahrgenommen.“ Sie habe gemerkt, dass es ihr sehr schlecht gehe, „aber mir war selbst beim Eintreffen des Rettungswagens noch nicht bewusst, dass ich kurz vor dem Tod gestanden habe“.

Genau daraus machte – nachdem ein Schnelltest nun auch bei ihr Gewissheit in Sachen Corona-Infektion gebracht hatte – die Ärztin in Groß-Umstadt jedoch keinen Hehl: „Sie sagte mir: Entweder sterbe ich, oder ich werde wieder gesund.“ Die zentrale Frage bei ihrer Anlieferung sei nur noch gewesen: Beatmung auf der Intensivstation oder starke Medikation? „Die Ärztin hat sich für die Medikamente entschieden“, berichtet Neubecker, die unter anderem ein Cortison-Präparat bekam. Die richtige Wahl: „Die Medikamente haben sofort angeschlagen, noch am selben Tag habe ich Erleichterung gespürt.“

Zwei Tage lang bekam die Münstererin noch Sauerstoff per „Nasenfahrrad“, konnte schließlich nach Langem wieder feste Nahrung zu sich nehmen. „Das Rippchen mit Kraut im Krankenhaus war das beste Essen seit Jahren“, lächelt sie. Nach einer Woche auf der Isolierstation durfte sie nach Hause, mit inzwischen wieder negativem Corona-Befund, aber noch einigen Fragezeichen auf der Stirn: „Ich weiß bis heute nicht, ob sich meine Mutter bei mir angesteckt hat oder ich bei ihr – und wo sie oder ich das Virus eingefangen haben könnten.“ Sie selbst habe in den vergangenen Wochen Kontakte bestmöglich vermieden. Ihre Mutter und auch die 83-jährige Bekannte, die sie pflegte und die nach ihrer fast zeitgleichen Corona-Infektion Anfang Dezember ebenfalls gestorben war, seien ohnehin überwiegend zuhause gewesen.

Auch rätselt Neubecker, noch, weshalb die Krankheit bei ihr einen solch schweren Verlauf genommen habe. Mit ihren 52 Jahren habe sie „keine Vorerkrankungen, ich bewege mich viel, gehe mit meinen Hunden raus, trinke wenig Alkohol, bin Nichtraucherin“. Auch jetzt sei sie noch nicht ganz wiederhergestellt, fühle sich schnell erschöpft. Das Schlimmste jedoch scheint überstanden.

Das gilt auch für die psychische Seite, schließlich fielen ihre Erkrankung und der Tod ihrer Mutter zusammen. Nicht nur hinsichtlich der eigenen medizinischen Versorgung, sondern auch bezüglich der Hilfe bei der Trauerbewältigung während ihres Krankenhaus-Aufenthalts schwärmt Jutta Neubecker vom Team der Kreisklinik Groß-Umstadt in den höchsten Tönen: „Die Mitarbeiter waren nicht nur total nett – sie waren auch sehr einfühlsam und haben mich in meiner Trauer aufgefangen.“ Während sie sich von den Auswirkungen ihrer Corona-Infektion erholte, „sind sie immer mal wieder zu mir ans Bett gekommen und haben mir Geschichten von den letzten Tagen meiner Mutter erzählt“. Die sei geistig „total fit“ gewesen, habe in der ersten Krankenhaus-Woche noch einen Eintracht-Schal gestrickt und manchen Scherz auf den Lippen gehabt. „Dank der Mitarbeiter in Groß-Umstadt konnte ich die letzten Tage meiner Mutter noch mal leben.“

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