„Ämter haben die Lebenswirklichkeit der Unternehmen noch nicht verstanden“

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Der Eppertshäuser Steuerberater Dirk Spinnler führt dem Reporter das IT-Programm des Bundes für die Beantragung etwa von Sofort- und Überbrückungshilfen vor - kuriose Stolperfallen inklusive. Nur eine Banalität, die täglich Nerven kostet: Oft klappt es nicht, per Tabulator-Taste von Eingabemaske zu Eingabemaske zu springen. (Foto: jedö)

Der Eppertshäuser Steuerberater Dirk Spinnler fungiert in der Corona-Zeit als „heimlicher“ Krisenmanager / Lob fürs Finanzamt, Kritik an Bund und RP / „Finanziell profitiere ich nicht davon“

(jedö) Eins vorweg: Dass der Eppertshäuser Dirk Spinnler wie so viele Steuerberater in der Corona-Zeit seit Monaten ranklotzt, macht ihn nicht glücklich. „Ich arbeite zehn bis zwölf Stunden am Tag und auch samstags. Finanziell profitiere ich nicht davon, weil ich zwar mehr Umsatz generiere, die zusätzliche Unterstützung meiner Mandanten aber nicht in Relation zur Arbeitszeit steht. Ich kenne keinen Kollegen, der über den aktuellen Mehraufwand froh ist.“ Entspannung ist für Steuerberater wie den 37-Jährigen, der Partner der 18 Mitarbeiter großen, in Eberstadt sitzenden Kanzlei „Von Kietzell.Spinnler.“ ist, allerdings auch in den nächsten Monaten nicht in Sicht. Seine Branche ist im steuerrechtlich hochkomplexen Deutschland gerade systemrelevanter denn je. Kurzarbeiter-Geld, Überbrückungshilfe, Soforthilfe: Will ein Unternehmen das beantragen, braucht es bei alldem einen Steuerberater.

Die Kanzlei der Geschäftspartner Egbert von Kietzell und Dirk Spinnler hat Firmenkunden aus etlichen Branchen. „Wir haben viele Handwerker und IT-Unternehmen, die Corona nicht allzu sehr trifft“, schickt Spinnler voraus. Trotzdem: „15 Prozent unserer Unternehmensmandate sind aber betroffen.“ Am schlimmsten ein Messebauer, „er hat seit einem Jahr 100 Prozent Umsatzeinbruch“. Dazu mehrere Künstler, in der Regel soloselbstständig. Auch einen Schausteller betreut Spinnlers Team – er hat schon lange keinen Jahrmarkt mehr gesehen und dort Geld verdient. „Auch die Gastronomen, Hotels und Wäschereien sowie einen Veranstalter trifft es unter unseren Mandanten hart.“

Fast alle von ihnen hoffen im wirtschaftlichen Überlebenskampf auch auf Spinnler. Denn mit Ausnahme einiger Soloselbstständiger, die kleinere Abschläge selbst beantragen können, können die Unternehmen wegen Unterstützung nicht selbst bei Vater Staat vorstellig werden. Die Kommunikation mit den Behörden läuft über die Steuerberater. Eine Zusammenarbeit, die die selten vergnügungssteuerpflichtig sei, wie Spinnler im Interview umfassend darstellt und auch mit kuriosen Vorführungen des IT-Portals für die Anträge plastisch macht. Nur eine Banalität, die täglich Nerven kostet: Oft klappt es nicht, per Tabulator-Taste von Eingabemaske zu Eingabemaske zu springen. Die automatische Übernahme von Daten aus der Kanzlei-IT ist nicht möglich. Manchmal funktioniert das Programm einfach nicht mehr und hängt sich schlichtweg auf.

Auch hier sei vorausgeschickt: Das Finanzamt nimmt der Eppertshäuser ausdrücklich aus seiner Kritik aus. „Generell haben die Ämter die Lebenswirklichkeit der Unternehmen noch nicht verstanden. In Schutz nehmen muss ich aber die Finanzbeamten, die derzeit wirklich alles versuchen, um schnell und unbürokratisch zu helfen.“ Beispielsweise, wenn er für Mandanten mit Liquiditätsengpässen die Stundung von Steuerzahlungen erwirken will. „Das Finanzamt tut im Moment sein Bestes.“

Anders klingt das, wenn Dirk Spinnler die Arbeit des Bundeswirtschaftsministeriums und des Regierungspräsidiums in der lockdownbedingten Wirtschaftskrise bewertet. Beispielsweise die Überbrückungshilfen muss der Steuerberater für seine Mandanten über das Programm des Ministeriums beantragen; das RP Gießen bearbeitet dann die Eingänge, ist dabei zuständig für ganz Hessen. „Jede Unterlage, anhand der der Staat tätig werden kann, geht über unseren Schreibtisch“, schildert der Eppertshäuser die Schlüsselstelle seines Metiers. Ein Nachweisaufwand, für den er grundsätzlich Verständnis hat, schließlich verteilt der Staat Milliarden an Steuergeld, die nur jene erhalten sollen, die ihr Geld gern selbst verdienen würden, dazu aktuell aber keine Chance kriegen. „Und bei der ersten Soforthilfe gab es relativ viel Missbrauch.“

Spinnler versteht aber vor allem eins nicht: „Wir müssen im Moment Anträge stellen auf Grundlage von Daten, die dem Staat schon vorliegen.“ Beispiel: „Wir müssen bei den Überbrückungshilfen die Umsätze aus 2020 übermitteln. Das haben wir vergangenes Jahr im Rahmen der Umsatzsteuer-Voranmeldungen aber längst getan.“ Hier könnte aus seiner Sicht eine IT-Lösung, mit der das Finanzamt den antragsbearbeitenden Behörde derlei Daten verfügbar macht, allen viel Aufwand ersparen. Wodurch notleidende Unternehmen womöglich auch schneller an Geld kämen, „denn die Bearbeitung der Anträge geht sehr langsam“. Erst Mitte Januar haben die ersten Mandanten Zahlungen aus der November-Hilfe bekommen; auf die Dezember-Hilfe warten sie noch.

Auch die Beantragung des Kurzarbeitergelds sei „extrem bürokratisch“, wobei Spinnler auch das Jobcenter in die Pflicht nimmt. Nicht jeder weiß: Unternehmen müssen ihren Mitarbeitern das Kurzarbeiter-Geld vorfinanzieren, ehe der Staat es erstattet. „Doch wenn ich nichts eingenommen habe: Wovon soll ich Löhne und Gehälter denn vorlegen?“, fragt Spinnler rhetorisch. Ein klassischer Einstieg in die Schuldenaufnahme oder überzogene Firmenkonten, der dem Steuerberater zufolge vermieden werden könnte. Ebenso wünscht er sich im Sinne der pragmatischen Krisenbewältigung verlässlichere Regularien mit längerer Haltbarkeit: „Denn da denkt sich der Staat ständig Neues aus, was er begrifflich jedoch oft unklar definiert – ein echter Zeitfresser, zumal man telefonisch selten jemanden erreicht!“

Am Ende will der Reporter wissen, ob der Steuerberater als eine Art „heimlicher“ Krisenmanager auch etwas Gutes aus der jetzigen Phase mitnehmen könne. Ja, sagt Dirk Spinnler: „Positiv ist, dass derzeit die Bindung zum Mandanten gestärkt wird und viele jetzt bemerken, was wir so alles an Aufgaben übernehmen.“

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