„Unser Staat hat in der Pandemie versagt“

38
Die Glocke, die hier Alexander Buchholz läutet, erklingt im „Minsdere Pilsstibbsche“ immer dann, wenn ein Gast eine Lokalrunde schmeißt. Wegen des gastronomischen Lockdowns ist das seit Monaten nicht mehr vorgekommen. (Foto: jedö)

Der Münsterer Gastronom Alexander Buchholz wartet noch immer auf die November-Hilfe / Im „Pilsstibbsche“ macht er weiter, im FSV-Biergarten nicht

Münster (jedö) Im Januar 2020 übernahm Alexander Buchholz das „Minsdere Pilsstibbsche“, eine echte Institution unter den Kneipen der Gersprenz-Gemeinde. Zudem betrieb der 34-Jährige vergangenes Jahr Biergarten und Gaststätte der Freien Sportvereinigung. Im Mai schilderte der Gastronom unserer Zeitung erstmals, wie er nach nur wenigen Monaten der beruflichen Selbstständigkeit mit den Corona-Herausforderungen – allen voran dem Lockdown – konfrontiert wurde. Jetzt, beim zweiten Gespräch sieben Monate später, könnte man die damalige Überschrift fast erneut aus dem Archiv ziehen: „Man fühlt sich im Stich gelassen“, titelten wir damals mit einem Zitat des Protagonisten.

Denn das ist auch derzeit seine Gefühlslage. Seit November hat Buchholz, der inzwischen auch in Münster wohnt („Dass meine Freundin und ich hier nach langer Suche eine Wohnung gefunden haben, gehört zu den positiven Dingen des vorigen Jahres“), keine Einkünfte mehr. Damals schränkte der „Lockdown light“ die Speiselokale, die fortan nur noch Abhol- und Liefergeschäft hatten, extrem ein. Trinklokale wie das Pilsstibbsche am Bahnhof setzte er gänzlich matt. Und das nach Monaten, in der schon allein wegen der Personenbegrenzung in der Kneipe weniger Reibach zu machen war. „Damals hat mich der FSV-Biergarten gerettet“, blickt Buchholz zurück.

Allerdings habe ihn die Doppelbelastung von Pilsstibbsche und Gastspiel bei den „Freien“ auch „an die Grenzen gebracht“. Mit dem Verein hatte sich Buchholz zunächst auf eine Zusammenarbeit bis Jahresende geeinigt. Sie wird nicht verlängert, originär auf Wunsch der Freien Sportvereinigung. Sie will im Optimalfall noch in diesem Jahr mit der umfassenden Sanierung ihres Immobilienkomplexes aus Sporthalle, Kabinen und Gaststätte beginnen, sucht für letztere derzeit einen neuen Pächter. Dem FSV-Vorsitzenden Peter Samoschkoff zufolge gibt es bereits einen Interessenten für die Nachfolge. Unterschrieben sei aber noch nichts.

Bei Alexander Buchholz hat sich die anfängliche Enttäuschung über den Schlussstrich bei den Freien inzwischen gelegt – und er sieht darin auch eine Chance. Denn schon ein Lokal sei kräftezehrend und er könne sich 2021 nun komplett aufs Minsdere Pilsstibbsche konzentrieren. Wenn er es denn mal wieder aufschließen kann: „Ich gehe davon aus, dass ich nicht vor Ostern wieder öffnen darf“, prognostiziert er.

Dann jedoch will – und muss – er Gas geben: „Ich werde dann keinen Ruhetag machen, sieben Tage pro Woche öffnen und auch den Sonntags-Frühschoppen wieder mitnehmen.“ Wenn die Pandemie und die Regierung es zuließen, wolle er „auch wieder Events anbieten, zum Beispiel den erfolgreich erprobten Karaoke-Abend“. Bei schönem Wetter darf er auf einem kleinen Streifen vor dem Lokal zudem 20 weitere Sitzplätze herrichten.

Bis dahin liegt aber noch eine harte Strecke vor dem Unternehmer, der bereits unter den vorherigen Betreibern im Pilsstibbsche jobbte und sich Anfang 2020 in die Gestalterrolle, aber auch in die betriebswirtschaftliche Verantwortung stürzte. „Meine Familie und meine Freunde stehen weiter hinter mir“, freut er sich. „Der Vermieter des Lokals und die Brauerei tun dies ebenfalls.“ Zudem betont Buchholz, dass „die Gesundheit über allem“ stehe. Hinsichtlich des Lockdowns und der damit zu verbindenden Entschädigung der darbenden Gastronomen habe „der Staat die richtige Waage aber nicht gefunden“.

Konkret hat der Münsterer im vergangenen Jahr all seine Ersparnisse aufgebraucht. „Auf die November-Hilfe warte ich immer noch, obwohl meine Steuerberaterin sie längst beantragt hat“, sagt Buchholz beim Interview Ende Januar. Die Dezember-Hilfe habe er ohnehin erst vor drei Wochen beantragen können. „Das dauert alles ewig und ist ein Unding, wie das läuft.“ Womit er nicht nur die Warterei meint, „sondern man muss als Person auch die Hosen runterlassen, obwohl man nicht freiwillig in dieser prekären Situation ist“. Nicht nur deshalb wählt Buchholz drastische Worte: „Unser Staat hat in der Pandemie versagt. Dies gilt nicht nur für die Wirtschaftshilfen, sondern auch die Impfungen“, wie er auf (via EU und für manche zu) spät bestellte Dosen für Deutschland und (noch) leerstehende, ungenutzte Impfzentren auch im Landkreis Darmstadt-Dieburg verweist.

In diesem Zusammenhang verspricht Alexander Buchholz für den Restart: „Ich werde nicht sagen, dass ins Pilsstibbsche erstmal nur Geimpfte reinkommen. Damit würde ich ja diskriminieren.“ Ob ihm die Krise neben der Solidarität von Familie, Freunden, Vermieter und Brauerei noch etwas Gutes beschert habe, will der Reporter zum Abschluss wissen? Buchholz muss nicht lang überlegen: „In der Corona-Zeit hat man gemerkt, wem es nur aufs Geld ankommt und wem auf die Menschlichkeit.“ Zur zweiten Gruppe zählt der Kneipier viele seiner Gäste, die ihn immer wieder mit Anrufen oder Nachrichten aufmuntern würden.  

 

Hinterlasse eine Antwort

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Name bitte hier reinschreiben