Corona sorgt für schrumpfende Sportvereine

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Foto: Lorenzo Cafaro auf Pixabay

FRANKFURT AM MAIN (PM) – Mitgliederstatistik des Landessportbundes Hessen zeigt besorgniserregende Entwicklung durch Corona

Die Corona-Pandemie und der anhaltende Lockdown für den Breitensport bescheren Hessens Sportvereinen einen signifikanten Mitgliederrückgang. Das hat die Bestandserhebung des Landessportbundes Hessen e.V. (lsb h) ergeben. Die nun vorgelegten Zahlen offenbaren, dass fast 58 Prozent der Vereine, die Mitglied im Landessportbund sind, zwischen dem
1. Januar 2020 und dem 1. Januar 2021 zahlenmäßig geschrumpft sind. Insgesamt haben die rund 7.600 hessischen Vereine in dieser Zeit fast 69.000 Mitglieder verloren. Das entspricht einem Rückgang um 3,2 Prozent auf nun 2,066 Millionen Mitglieder. So wenig zählte der Landessportbund zuletzt 2010.

„Das jahrelange Mitgliederwachstum des organisierten Sports in Hessen wurde durch die Corona-Pandemie gestoppt. Angesichts der anhaltenden Einschränkungen befürchten wir, dass sich diese Entwicklung bis Ende 2021 sogar noch verschärfen wird“, bewertet lsb h-Präsident Dr. Rolf Müller die vorläufigen Zahlen, an denen noch kleinere statistische Bereinigungen vorgenommen werden müssen. Diese Befürchtung werde dem Landessportbund auch aus seinen Mitgliedsorganisationen widergespiegelt. „Die derzeitige Perspektivlosigkeit zehrt“, sagt Müller und verweist darauf, dass die hessischen Vereine sich im Sommer 2020 noch deutlich optimistischer gezeigt hatten. Bei einer damals durchgeführten Vereinsbefragung hatten nur 30 Prozent der Vereine überhaupt Mitgliederrückgänge erwartet.

Besorgniserregende Entwicklung im Nachwuchsbereich

Ein genauer Blick auf die Statistik zeigt zwei Entwicklungen auf, die der Dachverband als besonders besorgniserregend bewertet. So entfallen fast 63 Prozent aller Mitgliederverluste auf Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre. Der Rückgang der Zahlen innerhalb dieser Altersgruppe beläuft ich auf 6,8 Prozent und ist damit fast viermal so hoch wie bei den Erwachsenen. Bei den bis Sechsjährigen ist sogar ein Minus von 17 Prozent zu erkennen. „Es besteht große Gefahr, dass uns eine ganze Generation verloren geht“, warnen der Landessportbund-Präsident und die Vorsitzende der Sportjugend Hessen, Juliane Kuhlmann.

Natürlich hoffe man, bei einer Normalisierung des Sportbetriebs auch wieder mehr Kinder für den Vereinssport zu begeistern und die Verluste so zumindest teilweise ausgleichen zu können. Kuhlmann verweist aber darauf, dass es schwer werde, „die Bewegungs- und Trainingsdefizite im Nachwuchssport wieder aufzuholen“.

Als ehemaliger Hochschulmeister in dieser Sportart nennt Müller explizit auch den Schwimmsport: „Seit Jahren mangelt es an Schwimmkursen. Hier wird die verlorene Zeit nur sehr schwer wieder aufzuholen sein.“ Auch in Mannschaftssportarten drohten langfristige Folgen – nämlich dann, wenn aufgrund der Corona-Pandemie auch längerfristig nicht mehr genügend Spieler/innen gewonnen werden können.

Die Ergebnisse der Bestandserhebung untermauerten, warum es besonders wichtig sei, Kinder- und Jugendsport bei einer Öffnung des Vereinssports bevorzugt zu behandeln. Diese Forderung hatte der Landessportbund Hessen kürzlich in einem von ihm vorgelegten Stufenplan zum Wiedereinstieg aufgestellt.

Der Mitgliederrückgang in Hessen entspricht im Grundsatz bundesweiten Entwicklungslinien und ist sowohl auf Austritte sowie – insbesondere im Nachwuchsbereich – auf fehlende Neueintritte zum Ausgleich „normaler“ Fluktuationen zurückzuführen.

Trotz oder gerade wegen dieser besorgniserregenden Entwicklung bedankt sich lsb h-Chef Rolf Müller bei über zwei Millionen Mitgliedern, die ihren Sportvereinen auch in der Krise treu geblieben sind. „Damit beweisen sie, dass die lsb h-Vereine ein starkes Stück Hessen sind und bleiben.“

Sorgenkind Großvereine

Die zweite besorgniserregende Entwicklung offenbart die Bestandserhebung bei den hessischen Großvereinen. Häufig mit eigenen Sportstätten und festangestellten Mitarbeitenden ausgestattet, leiden sie nicht nur finanziell stärker unter der Krise als andere. Sie sind auch überproportional stark von Mitgliederverlusten betroffen: Rund 40 Prozent der Rückgänge entfallen auf die 311 Sportvereine im Landessportbund Hessen mit 1.001 und mehr Mitgliedern. Allein der Mitgliederrückgang dieser Vereinsgruppe umfasst insgesamt rund 27.500 Mitglieder.

Die 20 größten Vereine Hessens (Eintracht Frankfurt ausgenommen) verzeichneten einen deutlich überdurchschnittlichen Rückgang um 6,2 Prozent. Lässt man außerdem die verschiedenen Sektionen des Deutschen Alpenvereins außen vor, die in der Tendenz an Mitgliedern gewonnen haben, beträgt der Rückgang sogar 10,4 Prozent.

„Hieraus resultieren erhebliche Einnahmeverluste. Im Zusammenspiel mit den weiterlaufenden Betriebskosten für vereinseigene Sportinfrastruktur nehmen wir eine zunehmend kritische Finanzsituation und einen entsprechenden Unterstützungsbedarf für diesen Vereinstyp wahr“, sagt Dr. Rolf Müller.

Verluste in allen Sportkreisen

Dass der Mitgliederrückgang eindeutig auf die Corona-Pandemie und die resultierenden Sportverbote zurückzuführen ist, zeigt auch ein Blick auf die einzelnen Sportkreise und Verbände: In allen 23 Sportkreisen des Landessportbundes Hessen haben die Vereine insgesamt an Mitgliedern verloren. Die Verluste reichen laut der vorläufigen Statistik von -0,7 Prozent (Sportkreis Werra-Meißner) bis zu -5,7 Prozent (Groß-Gerau). „In der Tendenz lässt sich feststellen, dass die urbanen Kreise stärker betroffen sind als die ländlich geprägten. Denn dort gibt es mehr Großvereine und die Vereinsbindung ist tendenziell schwächer ausgeprägt“, so Müller. Zu den „Negativ-Spitzenreitern“ gehören somit auch Wiesbaden (-4,6 Prozent), Darmstadt-Dieburg (-3,9), Offenbach (-3,8) und Frankfurt (-3,8), wo der Zugewinn der Eintracht die Tendenz abschwächt.

Im Nachwuchsbereich verlieren – außer Werra-Meißner (-0,8 Prozent) – alle Sportkreise deutlich. Überdurchschnittlich hoch sind die Verluste in Wiesbaden (-10,0), Groß-Gerau (-9,3) Main-Kinzig (-9,0), Rheingau-Taunus (-8,4), Darmstadt-Dieburg (-7,9), Offenbach (-7,7), Limburg-Weilburg (-7,3), Main-Taunus (-7,2) und Lahn-Dill (-7,0).

Kontaktsportarten leiden besonders

Bei den Verbänden lassen sich aufgrund der zum Teil kleinen Grundgesamtheit nur tendenzielle Aussagen treffen. „Wir sehen, dass die Kontaktsportarten im vergangenen Jahr besonders stark gelitten haben. Sie eignen sich nun mal am wenigsten, um Abstandsgebote einzuhalten“, fasst Müller zusammen. So sind die Verluste im Judo (-11,6 Prozent), Ju-Jutsu
(-9,9), Kickboxen (-9,1), Taekwon Do (-7,3), Karate (-6,7), Ringen (-6,5) besonders hoch.

Mit dem Turn- und dem Schwimmverband verlieren auch zwei der fünf größten hessischen Verbände überdurchschnittlich – nämlich um jeweils 6,6 Prozent. „In beiden Sportarten erfolgt der Einstieg in den Vereinssport traditionell sehr früh. Die besorgniserregende Entwicklung im Kinder- und Jugendsport scheint hier deshalb besonders stark durchzuschlagen“, glaubt Müller. Dies wird von den Zahlen gestützt: Turnen und Schwimmen büßten bei den Kindern und Jugendlichen bis 18 Jahren mehr als zehn Prozent ihrer Mitglieder ein. Ähnlich sieht es im Judo (-16,2) Prozent bei den bis 18-Jährigen) und anderen Kontaktsportarten aus.

Kritisch ist auch die Entwicklung im Behinderten- und Rehabilitationssport: Der hessische Verband verliert fast zehn Prozent seiner Mitglieder – im Nachwuchsbereich sogar 23 Prozent. „Hier wird deutlich, was prinzipiell für alle Sportarten gilt: Der Lockdown wird sich negativ auf die Gesundheit der Bevölkerung auswirken. Denn Sport stärkt nicht nur das Immunsystem und beugt Erkrankungen vor. Sport wirkt sich auch positiv auf die Psyche aus – insbesondere dann, wenn er in der Gruppe betrieben wird“, weist Müller auf den gesamtgesellschaftlichen Wert des Vereinssports hin.

Eine endgültige und detaillierte Bestandserhebung wird der Landessportbund voraussichtlich Anfang April veröffentlichen.

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